Corona – eine außergewöhnliche Belastung

 

Aber auch eine kreative Chance

 

Leere Konzertsäle, ausgestorbene Museen, geschlossene Bühnen: Kaum ein Wirtschaftszweig ist von den Corona-Maßnahmen so hart betroffen wie die Kulturbranche. Die versprochene finanzielle Unterstützung fließt zum Teil nur langsam und viele Kulturschaffende fürchten um ihre Existenz. Gerade private Unternehmen wie etwa freie Theater müssen jetzt noch mehr kämpfen. Und sich immer wieder neu erfinden.

 

Das erlebt auch das Team des Alarmtheaters Bielefeld. 3 Tage vor einer Premiere mussten sie beim ersten Lockdown alles stoppen. Im Herbst konnte es dann endlich wieder ein Programm mit Zuschauern geben, und natürlich mit Hygienekonzept: Eine Buchpräsentation inklusive Film und Gespräch, die alle sehr genossen haben. „Das war das erste Mal, dass wieder Leute hier rein durften. Da standen halt alle auf Abstand, und ich dachte: ´Total spannend´. Es hatte was von einem spannenden Experiment.“ erzählt Rebecca Budde de Cancino, im Alarmtheater für Bühne und Atelier zuständig.

 

Dann der erneute Lockdown mit wiederum erschwerten Arbeitsbedingungen. Normalerweise produziert das 1993 von Dietlind Budde und Harald Otto Schmid gegründete Alarmtheater Stücke mit relativ vielen, vor allem jugendlichen Akteuren, darunter Geflüchtete, Suchtkranke oder Inhaftierte. Dabei geht es um aktuelle zentrale und wichtige Themen unserer Gesellschaft. Den Ansatz wollten sie nicht verändern, also mussten neuen Formen der Umsetzung gefunden werden. Doch das Team des Alarmtheaters sieht in dem durch den Lockdown erzwungenen „Innehalten“ auch eine Chance.

 

Wie andere freie Theatermacher sind sie es gewohnt, immer irgendwie am Rande der Krise zu arbeiten. Das stärkt die Fähigkeit, die positiven Aspekte zu sehen - und die Möglichkeiten, die gerade die Einschränkung bietet. Wie etwa immer wieder verschobene Ideen und Vorhaben umzusetzen. So führte Harald Otto Schmid auf Spaziergängen mit jeweils einer oder einem Jugendlichen Gespräche zu Fragen wie „Wie funktioniert Beziehung in Zeiten von Kontaktsperre?“ oder „Was bleibt, wenn alles weg ist?“ Im Rahmen dieses Projektes „Kontaktstation“ entstand dann eine Broschüre mit berührenden Bildern und Zitaten.

 

Und daraus erwuchs auch die Grundlage für ein neues Stück: „Alles Alle“, ein Stück über Clowns. Für Harald Otto Schmid war der Clown eine natürliche Entwicklung: „ Weil der ist, sag ich mal, so eine Art Überlebensstrategie oder so eine Art von Weltauffassung, die ich haben kann in einer Zeit, wo alles nicht mehr sicher ist, wo man sich konfrontiert mit dem Tod. Denn was ist diese Pandemie anderes, als, naja ich krieg´ irgendwann keine Luft mehr, ich sterbe.“

 

Ohne vorgegebenes Konzept wurde viel improvisiert - alles unter strengen Corona-Bedingungen. Das hieß Abstand halten, letztendlich immer nur ein Protagonist auf der Bühne. Also weniger choreografische, dafür viel Einzelarbeit. Und keine direkte Interaktion auf der Bühne - schwierig im Schauspiel. Die Bühne ein Zirkuszelt mit unzähligen Paketen - wie ein Spiegel der aktuellen Situation, erklärt Dietlind Budde. „Hier gibt es einen Kunstort, nicht das Alarmtheater, sondern ein Zirkus, so war die Idee. Da ist niemand mehr, und da drin ist der Paketdienst. Das ist das, was gerade passiert, eine Spiegelung dessen, was in der Gesellschaft passiert.“

 

Mitgespielt haben neben Harald Otto Schmid letztlich nur sechs Geflüchtete, die sich allerdings längst nicht mehr als solche sehen - alles langjährige Mitglieder des internationalen Jugendensembles vom Alarmtheater. Die Premiere steht in den Sternen, aber es gibt dokumentarisches Filmmaterial von der Probenarbeit. Für das Alarmtheater bieten das digitale Schaffen und die Online-Arbeit neue künstlerische Möglichkeiten. Neben den Existenz sichernden Corona-Hilfen von Staat und Land ermöglichten private Spenden insbesondere die Fortführung der digitalen Projekte.

 

Für Rebecca Budde de Cancino ist das, was momentan geschieht, einerseits verrückt und fatal. Wo eine Krise normalerweise die Gemeinschaft verstärkt und man zusammenrückt, müssen wir in dieser Pandemie auf Distanz bleiben. Aber es entsteht auch eine neue Nähe, zum Beispiel durch die Online-A1rbeit mit Menschen am anderen Ende der Welt. Und auch Vorort wächst die Szene zusammen, findet Harald Otto Schmid: „Es entstehen neue Netzwerke, gerade hier in Bielefeld, der „Kulturpact“ macht im Moment unglaublich viel, ein neues Festival wird angedacht. Die Leute sind sehr aktiv, man ist nicht mehr nur mit seinem Eigenen beschäftigt, sondern man guckt ´Hey, was machst du, wie gehst du damit um?´"

 

So gibt es auch in der Krise einiges Positive, das Hoffnung macht. Und wenn die Pandemie mal wieder an den Nerven zerrt, können wir vielleicht etwas von Künstlern abschauen, die schon immer trotz aller Widrigkeiten einfach weiter gemacht haben. Womöglich weil sie nicht anders können, wie Dietlind Budde auf den Punkt bringt „Es passiert Kunst, egal, auch wenn sie uns den Mund verbieten. Es passiert trotzdem!“