Ein Tanzfeuerwerk, das berührt und begeistert
Die Uraufführung „Liebe, Furcht und andere Dissonanzen“ von Simone Sandroni am Samstagabend zog das Publikum im Stadttheater in seinen Bann.
Am Anfang ist Stille und Dunkelheit. Hier und da ein Licht, aus dem sich schemenhafte Figuren lösen, versuchen sich auf den Beinen zuhalten, zueinander zu kommen.
Bis sie sich schließlich zu einem Gewirr von Körpern vereint haben. Immer wieder versuchen einzelne Tänzer sich aus diesem Organismus zu lösen, auszubrechen. Mit zuckenden Körpern torkeln sie hin
und her, fallen jedoch wieder zu Boden und winden sich erneut zueinander. Das Gesamtbild ist verstörend und beängstigend, unterstützt von der aufwühlenden Musik sowie der Projektion der Tänzer im
Bühnenbild.
Doch langsam verändert sich das Bild: Immer mehr Tänzer lösen sich vom Boden, zunehmend bewegen sich kleine Gruppen in koordiniertem Tanz mit harmonischeren Bewegungen. Ein Prozess der
Menschwerdung, den das Bühnenbild hervorragend unterstützt: Aus einer geometrischen Projektionsfläche wird ein Haus mit ineinander verschachtelten Zimmern, in die die Tänzer sich am Ende des
ersten Teils jeder für sich verschanzen. Der zweite Part ist ein wunderbar getanzter Ausdruck basaler zwischenmenschlicher Empfindungen, ein Spiel aus Anziehung und Abstoßung, aus Erotik und
Leidenschaft, aus Freude und Angst. Die Tänzer bewegen sich durch das Haus und vereinen sich in immer neuen Konstellationen. Dabei stoßen sie räumlich wie emotional an ihre Grenzen.
Passend zum Titel „Die Verwandlung 3“, einer Komposition von Wolfgang Rihm, geht die Veränderung ihren Weg. Die Tänzer finden zu Paaren zusammen, vereint in hervorragend auf die Musik
abgestimmtem geschmeidigem Tanz, der die Schönheit, aber auch Widersprüchlichkeit intensiver Emotionen ausdrückt. Genial ist hier das Bühnenbild, das sich fortwährend dreht und mit einem Spiel
aus geometrischen Formen, Licht und Spiegelungen den Tanz kreativ untermalt. Doch die Harmonie bekommt einen Bruch, perfekt symbolisiert durch das lange Schweigen der Musik, in dem sich die
Tänzer vorsichtig wieder aneinander heran tasten. Zu der fröhlichen, musikalischen Liebeserklärung György Ligetis an die rumänische Volkskultur findet die Gruppe am Ende wieder zusammen - in
einer neuen Gemeinschaft, die sich in humorvoll umgesetzten Tanzritualen verbindet.
Es ist ein multimediales und multidimensionales Tanzfeuerwerk, das Choreograph Simone Sandroni gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Pawel
Poplawski, dem Bühnenbildner Stephan Mannteuffel und Dramaturgin Katrin Lohbeck geschaffen hat. Musik, Tanz und Bühnenbild sind wunderbar aufeinander abgestimmt und ergänzen sich zu einer runden
und ausgesprochen abwechslungsreichen Inszenierung. Den zehn Tänzerinnen und Tänzern des Ensembles gelingt es dabei, ganz unterschiedliche Gefühlszustände sensibel, facettenreich und mit
erstaunlicher Leichtigkeit auszudrücken. Wie das Publikum mit langanhaltendem Applaus und stehenden Ovationen belegte, ist „Liebe, Furcht und andere Dissonanzen“ ein Muss nicht nur für
Liebhaber des Tanztheaters, sondern für alle, die sich berühren und mitreißen lassen möchten.