Ich tanze. Also bin ich!

 

Die erste Premiere des Laientanzprojektes „Schrittmacher“ am Theater Bielefeld überzeugte mit neuem Konzept und wurde begeistert gefeiert.

 

Ein neuer Name, eine neues Team, neue Ideen - es bleibt spannend. Nachdem das durch Gregor Zöllig bekannte Tanzprojekt „Zeitsprung“ im letzten Jahr unter Simone Sandroni als „PHASE“ neuen Input bekam, heißt das Projekt seit dieser Spielzeit „Schrittmacher“ und hat sein Zuhause jetzt in der Theaterpädagogik. Die künstlerische Leitung hat der Tänzer und Choreograf Gianni Cuccaro, der dem Publikum bereits aus dem Tanzensemble bekannt ist. In der ersten von insgesamt drei Produktionen trafen Mitglieder des von Kerstin Tölle geleiteten TANZ-Jugendclubs auf eine „Schrittmacher“-Gruppe unter der Leitung von Gianni Cuccaro.

 

Wie individuell und eigenständig kann man als „Digital Native“, als Mensch, der in einer digitalen Welt aufgewachsen ist, sein? Wie stark ist man in dieser Welt beeinflusst von vorgegebenen Wegen und anderen Menschen? Themen, die die Tänzerinnen und Tänzer in differenzierten Choreografien verarbeitet haben. Etwa, wenn sie mit stereotypen Bewegungen wie Roboter ohne eigenen Willen agierten. Oder immer wieder versuchten, sich aus der Gruppe zu lösen und eigene „Tanz“-Wege zu gehen. Sehr schön war hier eine Choreografie des TANZ-Jugendclubs, in der federleichte Gesten wie das Heranziehen der Arme oder nur ein zartes Pusten die ganze Gruppe zum Folgen oder zu Boden zwangen. Kreativ auch die Idee, wie aufgezogene Puppen mit jeweils nur einem Schuh zu marschieren. Das spiegelte nicht nur die binäre Digitaltechnik, sondern verdeutlichte durch den hörbaren Rhythmus auch eine strenge Gruppenzugehörigkeit. Dazu waren diese Szenen witzig und ermöglichten den Tänzerinnen, ihr mimisches Talent zum Besten zu geben, zum Beispiel bei der gelungenen Darstellung irrsinniger Schuhmanie. Überhaupt zeigten Tänzerinnen und Tänzer auch schauspielerische Fähigkeiten, etwa beim sehnsüchtigen Verfolgen imaginärer „Kostbarkeiten “ oder bei dem ironischen Versuch einer Selbstdarstellung.

 

Was bei dieser Premiere erstaunte, war, wie professionell der Tanz der Laien bereits ist. Nach nur einem Monat Proben - und nicht etwa den ganzen Tag, wie Profis - hat die “Schrittmacher“-Gruppe von Gianni Cuccaro komplexe Choreografien erarbeitet - besonders ausdrucksvoll die Tangoszene mit einer Hand am Kopf des Partners. Der TANZ-Jugendclub besteht bereits seit Oktober letzten Jahres und wurde zusätzlich von den Choreografen Christina Mertzani und Jori Kerremans trainiert. Das zeigte sich in den technisch wie künstlerisch anspruchsvollen Choreografien, die die jungen Frauen mit außergewöhnlicher Geschmeidigkeit und Körperbeherrschung sowie starker Präsenz meisterten.

 

Beide Gruppen trafen an diesem Abend aber nicht einfach aufeinander, sondern bewiesen, dass sie sich wirklich „getroffen“ haben, etwa bei den harmonischen Szenenwechseln oder im gemeinsamen Tanz wie in der Schlusschoreografie. Abgerundet und bereichert wurde das Projekt durch die sehr eingängige und gut abgestimmte musikalische Bearbeitung von Christian Reddeker sowie die passenden Kostüme von Katharina Rode. Ein berührendes und begeisterndes Tanzerlebnis, bei dem die Protagonisten immer wieder bewiesen: „Ich tanze. Also bin ich!